Schutz für Frauen: Ein stabiles System an seinen Grenzen?

STADTBLATTARTIKEL von Dr. Marilena Geugjes Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Ausgabe vom 15.02.2023

Jede dritte Frau in Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt erlebt. Jeder vierten wird diese Gewalt von ihrem aktuellen oder früheren Partner zugefügt. Es wird von einer weitaus höheren Dunkelzahl ausgegangen. Gewalt kann Frauen allen Alters, aller sozialen bzw. Bildungsschichten betreffen, zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit, online.

Vor zehn Jahren trat das “Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt” in Kraft. Der Vertrag wird kurz “Istanbul-Konvention” genannt, nach dem Unterzeichnungsort (was ironisch ist, da die Türkei als einziges Land aus dem Übereinkommen wieder ausgetreten ist). Die Konvention schafft für alle Mitgliedsländer bindende Rechtsnormen. So muss die Gleichstellung der Geschlechter in der Verfassung verankert sein, diskriminierende Gesetze sind abzuschaffen, und – hier kommt die Kommune ins Spiel – Hilfs- und Bildungsangebote für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, müssen ausgebaut werden.

Als die Konvention 2018 in Kraft trat, war das Schutzsystem in Heidelberg bereits vergleichsweise gut aufgestellt. Seit den 80er-Jahren gab es Frauennotruf und Frauenhaus, beide aus der Frauenbewegung und dank ehrenamtlicher Initiative entstanden und eine wichtige Grundstruktur darstellend. In der Zwischenzeit werden sie institutionell gefördert, weitere wichtige Stellen und Hilfsangebote für betroffene Frauen seither geschaffen: Notschlafplätze für wohnungslose Frauen, die Interventionsstelle für Frauen und Kinder, die wichtige Akutversorgung leistet, die Etablierung der Gewaltambulanz des Universitätsklinikums, das als Leuchtturmprojekt gilt, das Childhood House oder das EU-Modellprojekt “GUIDE4YOU”, durch das Heidelberg 2019 als bundesweit erste Stadt ein Lotsinnensystem etabliert hat, das inzwischen auch von anderen Kommunen aufgegriffen wurde. Nicht zu vergessen sind auch die Täterarbeit der Männerinterventionsstelle und die Arbeit des Männernotrufs. Auch wenn es richtig und wichtig ist, die Opfer von (häuslicher) Gewalt zu schützen, muss auch daran gearbeitet werden, dass weniger Menschen, in der Regel Männer, zu Tätern werden.

Obwohl es in Heidelberg ein bereits überdurchschnittlich gutes Gewaltschutzsystem gibt, wurde dieses von der Corona-Pandemie an seine Grenzen gebracht. Die Nachfrage ist stark gestiegen und manche Träger kommen mit ihren aktuellen Ressourcen nicht mehr hinterher. Um der Istanbul-Konvention gerecht zu werden, müssen wir also genau hinschauen und evaluieren, wie es um unser bestehendes System steht oder wo es weitere Ressourcen und Strukturen benötigt.

Bildrechte: Hatzfeld / Wikimedia Commons